Begegnungen mit Überlebenden des Holocausts

In den Jahren seit ihrer Gründung hatte die Begegnungsstätte das Privileg verschiedene Projekte mit Zeitzeug*innen durchzuführen. Diese Seite bietet einen Überblick über Hintergründe, Prozesse und Ergebnisse dieser Projekte.

Sachor! – Bildungsarbeit mit Überlebenden des Holocaust

Die historische Arbeit lebt vom Diskurs. Neben dem wissenschaftlichen Fachdiskurs, der historische Ereignisse in Zahlen und Fakten beschreibt, bieten andere Zugänge zur Geschichte neue Perspektiven und können diese handhabbarer machen.

Einen Zugang dazu bietet die Oral History, die in der deutschen Erinnerungskultur durch die Begegnung mit Zeitzeug*innen geprägt ist. Die Stimmen der Überlebenden können dabei zu einem umfassenden Verständnis dieser Epoche beitragen und zugleich Empathie, Zivilcourage und demokratische Resilienz in den Zuhörenden fördern.

Projekte der letzten Jahre

Marga - Ein Pfad durch die Zeiten/Ma’awar bin semanim

Marga - Ein Pfad durch die Zeiten/Ma’awar bin semanim

Die Brandenburgerin Marga Goren-Gothelf berichtete in zwei Projekten über ihre Lebensgeschichte. Gemeinsam mit Jugendlichen entstand unter anderem ein Film.

Marga

Marga Gothelf wurde im Mai 1925 in Brandenburg an der Havel geboren und 1938 zusammen mit ihrer Schwester Paula und Mutter Helene Chaja in der sogenannten „Polenaktion“ an die polnische Grenze deportiert. Der Begriff bezeichnet die erste Massendeportation von Jüdinnen*Juden aus dem Deutschen Reich, die rund 17.000 Jüdinnen*Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaften, ausweisen und gewaltsam zur polnischen Grenze bringen ließ.

Wenige Monate nach ihrer Ankunft in Betschen erhielten die Familien Nachricht, dass England aus humanitären Gründen 85 Halb- und Vollweisen zwischen 13 und 15 Jahren Visa ausstellen und sie auf die britische Insel bringen würde. So gelang Marga zu Beginn des Jahres 1939 mit dem sogenannten Kindertransport die Flucht aus dem Deutschen Reich. Ihre Schwester und Mutter sah sie jedoch nie wieder. Die Spur der beiden verliert sich im Warschauer Ghetto. 1947 emigrierte Marga in das britische Mandatsgebiet Palästina und wurde nach der Staatsgründung Israel 1948 Lehrerin. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Rischon LeZion südlich von Tel Aviv.

Hatte Marga zunächst kein Interesse nach Deutschland oder Brandenburg zurückzukehren, besuchte sie ihre Geburtsstadt im Jahr 1986 erstmals seit ihrer Deportation.

Die Projektidee

Die gemeinsame Arbeit der Begegnungsstätte und Frau Goren-Gothelfs begann 2010 mit einem Zeitzeugen-Interview. Eingeladen vor Schulklassen lokaler Gymnasien zu sprechen, berichtete Marga über ihre Kindheit in der Stadt, ihre Erfahrungen, Eindrücke und Geschichte.

Basierend auf diesem Interview entstand zwei Jahre später ein Dokumentarfilm über die Brandenburgerin. Zusammen mit Marga und Studierenden der Technischen Hochschule verbrachte eine Gruppe Schüler*innen einige Projekttage in der Begegnungsstätte und erstellte die Dokumentation „…ein Flüchtling kennt keine Heimat“. Um den Film auch im deutsch-israelischen Kontext nutzen zu können, sollte er schließlich in Hebräisch untertitelt werden. Das letzte Mal besuchte sie Brandenburg im Jahr 2013 zur Premiere des Films.

Den Abschluss des Projektes sollte eine Jugendbegegnung in Israel bringen. Vom 06.09. bis 10.09.2015 flog die Projektgruppe nach Israel, um den Film und das Begleitmaterial zusammen mit der Zeitzeugin an der Aviv- und an der Ostrovsky-Highschool in Ra´anana zu präsentieren.

Der Film

„Marga Goren-Gothelf…ein Flüchtling hat keine Heimat“ ist ein Dokumentarfilm, der zwischen 2010 und 2012 in der Zusammenarbeit mit Brandenburger Jugendlichen und jungen Erwachsenen und der Zeitzeugin selbst entstanden ist. Die Grundlage dafür bildet ein Gespräch mit ihr aus dem Jahr 2010 und zusätzlichen Recherchen und Textarbeiten der Jugendlichen, die sich für die Lebensgeschichte der Brandenburgerin interessierten. Marga wurde im Oktober 1938 als 13Jährige zusammen mit ihrer Familie an die polnische Grenze deportiert, verbrachte einige Zeit in Neu-Bentschen, kam mit einem Kindertransport nach England, gelangte 1947 nach Marseille, war an der Versorgung der Überlebenden auf der Exodus beteiligt und kam im November 1947 nach Palästina. Im Unabhängigkeitskrieg arbeitete sie als Funkerin und nach der Staatsgründung war sie Lehrerin bis zu ihrer Pensionierung und lebt in Rischon LeZion. Nur sie und Ihre Schwester Friedel überlebten den Holocaust. Ihre Biographie ist exemplarisch für europäisch-jüdische Geschichte. Dieses Zeugnis muss bewahrt und weitergegeben werden. Vor allem aber in einer Form, an der die Teilnehmenden einen eigenen Beitrag leisten und der Umsetzung beteiligt sind.

Begegnung der Generationen 2.0

Begegnung der Generationen 2.0

Zwei Seiten der Geschichte – das Tandem-Projekt machte es sich zur Aufgabe Großeltern-Enkel-Generationen aus Deutschland und Israel zusammenzubringen.

Tandem 1.0

2013 trafen sich in der Stiftung Begegnungsstätte Schloss Gollwitz das erste Mal 3 israelische Großeltern-Enkel-Paare mit 3 deutschen Großeltern-Enkel-Paaren. Drei der israelischen Großeltern sind in Deutschland geboren und haben als Kinder den Holocaust überlebt. Unter dem Projektnamen „Tandem-Projekt“ lernten sich die Zeitzeugen und Jugendlichen kennen und sollten das geplante Begegnungsprogramm gemeinsam verbringen.

Am Anfang waren die Teilnehmenden noch etwas zurückhaltend. – Worüber sollte man sich unterhalten? Was durfte oder sollte man besser nicht sagen? – Doch schnell war diese Blockade überwunden und man kam miteinander ins Gespräch. Die Teilnehmenden unternahmen Ausflüge, verbrachten gemeinsam die Abende im Schloss und wurden schnell gute Freunde. George Shefi, ein Überlebender des Holocausts, sagte selbst, dass er noch niemals „zwei Gruppen von Menschen unterschiedlicher Herkunft sich nach nur fünf Tagen mit Tränen und in echter Freundschaft [hat] trennen sehen“[1]. Alle waren von dieser Begegnung so begeistert, dass sie auf eine Wiederholung hofften.

[1] „Das Tandem-Projekt – Deutsch-israelische Begegnung der Generationen“ Eine Dokumentation der AMCHA-Stiftung Deutschland. S.3.

Tandem 2.0

Die Neuauflage der Begegnung war 2019 geplant. Aufgrund der vergangenen Zeit ist es natürlich nicht möglich, dass alle ehemaligen Teilnehmenden kommen. Dennoch treffen sich diejenigen, die dazu in der Lage sind, im Frühling im Schloss Gollwitz, um sich wiederzusehen, die alten Tage Revue passieren zu lassen und Zeit miteinander zu verbringen.

Pädagogisches Ziel der Begegnung war es vor allem zu überlegen, wie man die Erfahrungen der Zeitzeug*innen einfangen kann, um sie für spätere Generationen, die nicht mehr die Ehre haben, persönlich mit Zeitzeugen sprechen zu können, aufzubewahren.

Die Erfahrungen und Erlebnisse beider Begegnungen wurden in einer Kurzdokumentation zusammengefasst, die Außenstehenden einen Einblick in die Arbeit und Wahrnehmungen der, vor allem jungen, Teilnehmenden bietet.

Das Projekt im Detail

Die Begegnung der Generationen „Das Tandem- Projekt“ brachte drei Großeltern-Enkel Paare aus Israel mit 3 Großeltern-Enkelpaaren aus Deutschland, vorwiegend aus der Region Berlin-Brandenburg, für eine gemeinsame Woche zusammen.

Die drei Großeltern aus Israel sind in Deutschland geboren und haben als Kinder den Holocaust erlebt. Sie sind Klienten von Amcha-Israel, einer Organisation, die in 13 Zentren psychosoziale Betreuung bietet und Anlaufstelle für Holocaustüberlebende ist. Ausgehend von der Begegnungsstätte Gollwitz, in der alle gemeinsam wohnten, unternahm die Gruppe Ausflüge zu den Stätten der Kindheit, besuchte das evangelische Gymnasium Kleinmachnow und führte dort Zeitzeugengespräche mit verschiedenen Klassenstufen. Die Schüler zeigten sich stark beeindruckt, wieviel Lebensfreude die Zeitzeugen trotz des erlebten Leids ausstrahlten.

Durch die gemeinsamen Erlebnisse wuchs die Gruppe zusammen. Das Interesse für die jeweiligen Biographien der Deutschen und der Israelis innerhalb, aber auch zwischen den Generationen war groß. Die Enkel erlebten ihre Großeltern in einem anderen Kontext und hörten sie zum Teil das erste Mal über ihre Vergangenheit reden. Malte aus Kleinmachnow: „Es ist das erste Mal, dass meine Großmutter so über ihre Vergangenheit spricht, bisher meinte sie immer, sie hätte nichts zu berichten“.

Richard Hirshhorn erzählte seine Lebensgeschichte zum ersten Mal in deutscher Sprache in Deutschland: „Ich finde es großartig, dass man sich in Deutschland so mit der Vergangenheit beschäftigt und solche Projekte macht, deshalb spreche ich hier zum ersten Mal auch auf Deutsch“. Sein Enkel Adar: „Nächstes Jahr will ich wiederkommen“.

Das Projekt wurde von der Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz und der AMCHA-Stiftung Deutschland organisiert & durchgeführt; gefördert durch: F.C. Flick Stiftung & Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

George Shefi – Child Survior: Flucht und Vertreibung zur NS-Zeit

George Shefi – Child Survior: Flucht und Vertreibung zur NS-Zeit

Als Überlebender des Kindertransports leistet George seit Jahrzehnten Aufklärungs- und Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen.

George

George Shefi (dt. Spiegelglas) wurde am 29. November 1931 in Berlin geboren und wuchs in Berlin-Schöneberg auf. Nach der Pogromnacht des 9. November 1938 beschloss seine Mutter, ihn mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Der Transport verließ Berlin am 26. Juli 1939; es war das letzte Mal, dass George seine Mutter sah, die ihn unter den vielen Kindern an den Zugfenstern jedoch nicht mehr fand.[1]

Während er in England überlebte, wurden Georges Mutter und ihre Schwester nach mehreren Jahren Zwangsarbeit 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie direkt nach der Ankunft ermordet wurden.

George selbst betrachtete sich lang nicht als Überlebenden des Holocaust, erst mit einer Reunion der Kinder des Kindertransports 1989 kam die innere Realisierung. Seitdem setzt er sich unermüdlich in der Bildungsarbeit ein und berichtet vor Hunderten von Menschen über seine Geschichte.

[1] amcha.de/30-juni-stolpersteine-fuer-die-eltern-von-george-shefi

Die "Zeitzeugenwoche"

Vom 5.12.-12.12.22 waren George Shefi, seine Frau Yael und die drei gemeinsamen Töchter Gast in der Begegnungsstätte. Seit langer Zeit engagiert sich George in der Zeitzeugenarbeit und wurde im Jahr 2019 für sein Engagement mit dem Verdienstorden des Landes Brandenburg ausgezeichnet.

Das Projekt „Child Survivor - Flucht und Vertreibung zur NS-Zeit. Überlebende berichten über ihr Schicksal“ bot jungen Menschen aus Brandenburg die Gelegenheit, mit George ins Gespräch zu kommen, seine persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen kennenzulernen und seine Perspektive auf die Geschehnisse in den 1930er Jahre in Berlin sowie allgemein sein Leben zu erfahren.

Mit Hilfe der F.C. Flick Stiftung sowie der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft wurde der Vortrag George Shefis mit anschließender Fragerunde filmisch festgehalten. Ebenso führten wir ein Interview mit George, seiner Frau sowie seinen Töchtern durch, welches filmisch dokumentiert wurde. Die Interviews wurden im Sinne der Angehörigen geführt, die wir als wichtige (Zeit-)Zeug*innen ansehen.

Nehmen Sie Kontakt auf

+49 3381 213860

Adresse

Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz
Schlossallee 101
14776 Brandenburg OT Gollwitz

Folgen Sie uns

Verpassen Sie keine Neuigkeiten.

© Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz 2024
You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close